Jetzt hab ich mich doch wieder breitschlagen lassen und tatsächlich den Link zum Webinar angeklickt. Ein ehemaliger Versicherungskaufmann mit gestärktem Hemd und der Ausstrahlung eines Staubsaugervertreters erklärt mir gerade, wie ich mit „transformativer KI-Power“ mein Business „auf das nächste Level“ bringen kann.
Ich verstehe jedes einzelne Wort – aber zusammengesetzt ergeben sie ungefähr so viel Sinn wie die Gebrauchsanleitung meines chinesischen Wasserkochers.
Die KI-Excellence-Bootcamps der leeren Versprechungen
Die „KI-Transformations-Enlightenment-Excellence-Bootcamps“ unserer Zeit haben etwa so viel mit echter Bildung zu tun wie ein Fischbrötchen mit Quantenphysik. Sie sind nichts anderes als der verzweifelte Versuch mittelmäßiger Marketing-Gurus, die in der Suchmaschinenoptimierung gescheitert sind, nun den nächsten Goldrausch auszurufen. Früher verkauften sie SEO-Kurse, dann Krypto-Seminare, heute eben KI-Power-Bootcamps.
Für schlappe 1.997 € (statt 4.997 € – aber nur heute!) bekommt man Zugang zu einer „umfassenden Wissensdatenbank“, die so umfassend ist wie ein Kinderplanschbecken tief.
Von Claude bis LogoAI, von ChatGPT bis Notebooklm– alles wird angerissen, nichts vertieft. Wie ein übermotivierter Fremdenführer, der die Touristen in 45 Minuten durch den Louvre jagt und hinterher fragt, ob sie nun Kunstkenner seien.
Die Tool-Parade der Ahnungslosen
Der typische Ablauf dieser digitalen Gehirnwäsche folgt einem bewährten Muster, das sorgfältig auf zwei Tage im Konferenzhotel optimiert wurde. So kurz wie möglich, um maximalen Profit zu erzielen. So lang wie nötig, um als „umfassende Ausbildung“ verkauft zu werden:
Tag 1, Vormittag: „Revolutionäre Grundlagen der KI“. Man lernt, dass KI kein klappernder Blechroboter aus den 50ern ist, sondern etwas mit „neuronalen Netzen“ zu tun hat. Tiefere Erklärungen werden elegant umschifft mit dem Hinweis, dass man „die Technik ja nicht verstehen muss, um sie zu nutzen“. Nach dieser Logik müsste ich auch nicht wissen, wo das Lenkrad sitzt, um Auto zu fahren.
Tag 1, Nachmittag: Die große Toolparade, Teil 1. Wie bei einer Teleshopping-Show werden 23 verschiedene KI-Tools im Schnelldurchlauf vorgeführt. Vom „revolutionären“ Bildgenerator bis zum „bahnbrechenden“ Textoptimierer. Die durchschnittliche Verweildauer pro Tool: 12 Minuten. Gerade genug Zeit, um Screenshots zu machen und ehrfürchtig zu nicken, während der Trainer mit 120km/h durch die Funktionen klickt. Der Tag endet mit einem „Networking-Dinner“, bei dem jeder viel zu teuren Wein trinkt und so tut, als hätte er verstanden, was „multimodale Anwendungsfälle in der Content-Pipeline“ bedeuten.
Tag 2, Vormittag: Die große Toolparade, Teil 2. Weitere 24 Tools, die man in seinem Leben nie wieder benutzen wird, aber deren Namen man in Meetings fallen lassen kann, um kompetent zu wirken. Der einzige Unterschied zum Vortag: Die Kopfschmerzen vom Networking-Wein und die wachsende Erkenntnis, dass man 90% der Inhalte schon wieder vergessen hat.
Tag 2, Nachmittag: „Praxisworkshop“. Hier dürfen die Teilnehmer unter Anleitung selbst ein Bildchen generieren oder einen Prompt eingeben. Die kollektive Begeisterung, wenn ChatGPT tatsächlich antwortet, erinnert an Steinzeitmenschen, die zum ersten Mal Feuer sehen. Der Workshop endet pünktlich um 16 Uhr, damit auch ja niemand seinen ICE nach Hause verpasst – so er denn überhaupt fährt.
Die Getriebenen im Konferenzhotel
Am Ende sitzen da Menschen, die zwei Tage in einem trostlosen Konferenzhotel an der Autobahn verbracht haben, zwischen pappigen Brötchen und Kaffee, der schmeckt, als hätte jemand einen Schuh damit geputzt. Sie haben 2.000 € Firmenbudget verpulvert und zwei Arbeitstage geopfert, um 47 KI-Tools beim Namen nennen zu können, ohne eines davon wirklich zu beherrschen.
Mit bleichem Gesicht und einem USB-Stick voller PowerPoint-Folien kehren sie zurück in ihre Unternehmen, wo sie von nun an in jeder Meetingpause verkünden: „Das könnten wir doch mit KI machen!“ – ohne die leiseste Ahnung, wie.
Es sind die gleichen Leute, die vor fünf Jahren noch „Blockchain“ in jeden zweiten Satz eingebaut haben und vor zehn Jahren „Agilität“ wie ein Mantra vor sich hergebetet haben. Sie tragen das Wort KI vor sich her wie ein Kreuz gegen Vampire der Irrelevanz.
Was wirklich fehlt
Was diese Toolshows nie vermitteln: Die Kunst des kritischen Denkens. Die Fähigkeit, zu entscheiden, welches Problem überhaupt einer KI-Lösung bedarf. Das Handwerk, gute Prompts zu schreiben. Die Kompetenz, die Ergebnisse zu bewerten. Und vor allem: die Geduld, sich auf ein Tool zu konzentrieren und es wirklich zu beherrschen, statt wie ein digitaler Schmetterling von Blüte zu Blüte zu flattern.
Es ist, als würde man versuchen, jemandem das Klavierspielen beizubringen, indem man ihm alle Tasten zeigt, aber keine einzige Note.
Der wahre Unterschied
Am Ende unterscheidet sich der Teilnehmer eines „KI-Enlightenment-Bootcamps“ vom echten KI-Könner wie der Besitzer einer Digitalkamera vom Fotografen. Beide haben die Werkzeuge – aber nur einer weiß, wie man sie einsetzt.
Während echte Profis in ihren stillen Kämmerlein sitzen und durch mühsame Kleinarbeit lernen, wie man aus diesen Tools tatsächlich Mehrwert schöpft, klicken sich die Bootcamp-Absolventen durch bunte Dashboards und wundern sich, warum ihre KI-Texte klingen wie eine Kreuzung aus Versicherungspolice und Spam-Mail.
Die unbequeme Wahrheit
Es gibt keinen Abkürzungsweg zur KI-Kompetenz. Keine Sieben-Tage-Challenge zum Meister. Keinen Geheimtrick, den dir ein ehemaliger Autoverkäufer im Webinar verrät.
Es gibt nur den langsamen, mühsamen Weg des Lernens. Des Scheiterns. Des Wiederversuchens. Man muss das Handwerk lernen, bevor man die Kunst beherrscht. Das gilt für die Schreinerei, die Chirurgie und eben auch für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz.
Also liebe KI-Aspiranten:
Spart euch die 2.000 € für die nächste „KI-Tool-Show“. Nehmt dieses Geld, gönnt euch einen anständigen Laptop, ein Abo für einen KI-Texter eurer Wahl, und dann macht das Einzige, was wirklich hilft: Übt. Jeden Tag. An echten Projekten.
Und wenn euch das nächste Mal ein „Digital Transformation Expert“ mit Rollkragenpullover und Keynote-Folien voller Buzzwords begegnet, fragt ihn doch einfach mal, was er damit selbst schon erschaffen hat.
Die Antwort wird vermutlich kürzer ausfallen als die Aufmerksamkeitsspanne eines Cockerspaniels an einem Würstchenstand.