In einem Anfall von Selbsthass öffnete ich neulich LinkedIn. Vielleicht lag es an dem überstarken Kaffee, der mich in diesen Zustand geistiger Umnachtung versetzte. Anders kann ich mir diese digitale Selbstgeißelung nicht erklären.
Vor Jahren hatte ich mich bei LinkedIn angemeldet, dummerweise mit den Hashtags „Copywriting“ und „Marketing“ – eine Eintrittskarte in die Hölle der selbsternannten Erfolgscoaches und Digital-Gurus. Nun dachte ich, nach monatelanger Abstinenz könnte ich einen kurzen Blick riskieren. Vielleicht hatte sich ja etwas geändert.
War ich naiv.
Die LinkedIn-Timeline ist der Karneval der Eitelkeiten in Business-Casual
Eine endlose Parade von Menschen, die posten, um zu posten, und kommentieren, um gesehen zu werden beim Kommentieren. Eine Selbstbeweihräucherungsplattform mit Krawatte, die unter dem fadenscheinigen Deckmantel der „beruflichen Vernetzung“ operiert.
Was mich besonders fasziniert, ist die geradezu dystopisch anmutende Kommentarkultur
Unter jedem Post erscheinen sie, die vorformulierten Floskel-Buttons: „Stimme zu! 👏“, „Großartige Perspektive!“, „Vielen Dank fürs Teilen!“, „Gut gesagt, Vera! 💯“. Ein digitaler Kaffeeklatsch von Leuten, die offenbar zwischen zwei Zoom-Calls panisch nach sozialer Validierung suchen.
Instant-Buttons, damit selbst das Schmeicheln noch effizienter wird. Ein-Klick-Lobhudelei für die Business-Elite. Der ultimative Fast-Food-Drive-Through für berufliche Anerkennung.
Doch wo, frage ich mich, sind die Buttons, die wir WIRKLICH brauchen?
Ein „Who cares?“-Button für die 17. Motivationsrede eines 23-jährigen „Serial Entrepreneurs“, der sein Startup-Scheitern als „learning journey“ verkauft.
Ein „Hast du nichts Besseres zu tun?“-Button für denjenigen, der um 3:47 Uhr einen Artikel darüber postet, dass frühe Vögel erfolgreicher sind.
Ein „Was für eine Zeitverschwendung“-Button für diese bizarren Pseudo-Stories, die stets mit „Ich stand heute zwei Stunden im Stau…“ beginnen und irgendwie mit einer Lektion über digitale Transformation und Agilität enden.
Ein „Ist das dein Ernst?“-Button für die Menschen, die ihren platten Reifen auf dem Weg zum Meeting irgendwie in einen Post über „Disruptive Hindernisse als Chance“ verwandeln.
Ah ja, und gaaaanz dringend:
Der „Niemand will das wissen“-Button für die unvermeidlichen „Sitze gerade im Starbucks bei einem Venti Caramel Double-Shot Oat Milk Frappuccino und arbeite an meiner Präsi fürs nächste Stakeholder-Meeting #WorkLifeBalance #Hustle #MondayMotivation“-Posts.
Als ich meine Fassungslosigkeit einer mir bekannten Person gegenüber zum Ausdruck brachte, zuckte diese nur mit den Schultern: „Na klar, LinkedIn ist Social – Kaffee-Posts sind da Bestandteil.“ Eine Erklärung, die mir den Glauben an die Menschheit nicht zurückgegeben hat.
Vielleicht sollte ich einfach ein paar Posts absetzen. „Heute habe ich einen Flat White Latte getrunken und dabei eine wichtige Lektion über die Disruption der Digital-Transformation gelernt. Der Milchschaum repräsentiert die Cloud, während…“
Nein. Lieber schaue ich noch mal aus dem Fenster. Da passiert mehr.